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2. Folge: Damals in Viareggio

Es war im Sommer 1960, kurz vor Beginn der Sommerferien. Mein Vater, seit 2 Jahren im Besitz des Fahrausweises und eines neuen Peugeot, plante mit seiner Familie seine erste Auslandreise per Auto. Als 17 jähriges Mädchen erfüllte sich mit dieser Italienreise ein großer Traum. Schon Wochen vorher blätterte ich in Reisekatalogen und sah mich bereits am feinsandigen Strand liegen, im Meer schwimmen und eines dieser italienischen Gelati schlecken. Italien war für mich das ersehnte Ferienland.

Der Reisetag war aufregend, war doch mein Vater nicht sehr reisekundig und mußte sich anhand der damaligen Autokarten auf Italiens Autobahnen und Straßen zurecht finden. Schließlich kamen wir müde, doch ohne Zwischenfall im kleinen Städtchen Viareggio an. Das Hotel erwies sich als zentral gelegen und familiär. Nach kurzem Auspacken der Koffer begaben wir uns an den Strand, 5 Minuten Fußweg vom Hotel entfernt. Da war er nun, dieser langgezogene Strand mit den farbigen Liegestühlen, Sonnenschirmen und zahlreichen Feriengästen und mit ihm diese fröhlich-unbeschwerte italienische Ferienstimmung. Wie ich sie liebte! Da ich in der Schule seit einem Jahr Italienisch als Wahlfach lernte, war mir diese melodische Sprache schon etwas vertraut, während sich meine Eltern schwerer taten.
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Am nächsten Morgen tummelten wir uns am Strand und genoßen den ersten richtigen Ferientag. Während ich zum ersten Mal im salzigen Meerwaßer schwamm und seine Vorteile entdeckte, setzten sich meine Eltern in ihre Liegestühle und schauten dem bunten Treiben von weitem zu. Nach einem Weilchen rief nicht weit von mir entfernt eine junge Stimme: „Ciao bella! Wie ist Name“? Es war ein junger Italiener, etwa 18 Jahre alt, schwarzes Haar, dunkle Augen. „Mein Name Marcello, sono di Viareggio“. Seinen weiteren Erklärungen entnahm ich, daß Marcello in Rom studierte und zurzeit in Viareggio Ferien machte. Dieser junge Mann gefiel mir.

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Kurze Zeit später spazierte ich mit meinen Eltern dem Strand entlang. Als wir wieder zu unseren Liegestühlen zurückkamen, fand ich unter meinem Badetuch einen Zettel mit kurzem Text halb Deutsch, halb Italienisch: „Heute Abend im „Caffè Le Stelle“, kommst Du tanzen?“ Mein Vater schaute mich fragend an, eine Sorgenfalte machte sich auf seiner Stirn bemerkbar. „Willst Du wirklich mit dem Jungen tanzen gehen? Er ist Italiener, scheint recht temperamentvoll zu sein.“ Als gut behüteter Teenager war ich in Liebesdingen noch total unerfahren, doch diese Anspielung verstand ich sofort. Es gelang mir, meine Eltern zu beruhigen und sie zu überreden, den Abend bei Musik und Tanz im „Caffè Le Stelle“ zu verbringen.

Es war ein wunderschöner, warmer Sommerabend. Auf der Terraße des „Le Stelle“ spielte die Live-Musik Tanzmusik und italienische Schlager. Die Gäste saßen in luftigen Sommerkleidern unter den Bäumen, tranken ein Glas Wein, einige tanzten. Gerne erinnere ich mich an den bekannten Ohrwurm „Marina, Marina, Marina, ti voglio piu presto sposar….“.
Bald erblickte ich Marcello, er kam auf mich zu und forderte mich zum Tanzen auf. Zu jener Zeit tanzte man vor allem Twist und Rockn’roll. Marcello war im Gegensatz zu mir ein versierter Tänzer, mit dem das Tanzen richtig Spaß machte. Gleichzeitig versuchten wir uns in der italienischen Konversation und lachten viel. So kamen wir uns beim Tanzen auch etwas näher und ich fühlte schon bald Schmetterlinge im Bauch. Als ich zum Tisch meiner Eltern zurückging, bemerkte meine Mutter: “Ein charmanter junger Mann, schade, daß er nicht etwas größer gewachsen ist“. Mich störte seine Größe hingegen wenig, ich fand ihn sympathisch und aufgeschloßen.
Marcello und ich tanzten den ganzen Abend. Gegen 23 Uhr wollten meine Eltern mit mir zum Hotel aufbrechen. Marcello bestand darauf, mich zum Hotel zu begleiten. Er setzte sich einen Moment an unseren Tisch und erklärte meinen Eltern, daß es für einen gut erzogenen jungen Mann in Italien Pflicht sei, seine Partnerin abends nach Hause zu begleiten.
Meine Eltern waren zwar der Ansicht, ihre Begleitung würde eigentlich genügen, gaben sich dann aber damit zufrieden. Daraufhin stellte sich Marcello lachend zwischen meine Mutter und mir, legte je einen Arm um unsere Schultern, mein Vater an der Seite und so gingen wir in heiterer Stimmung zu unserem Hotel.
Der Bann war gebrochen. Meine Eltern fanden Marcello hinreißend charmant und anständig und haben ihre Vorurteile begraben. So hatte ich 10 aufregende Ferientage am Meer mit Marcello – natürlich weiterhin in Begleitung meiner Eltern, wie es damals üblich war.
Viva Italia!

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